FrauenRaum – Methoden der Kompetenzorientierung

Seit der großen Fluchtbewegung im Jahr 2015 ist das Thema Migration erneut in den Fokus der Politik, des Bildungs- und Arbeitsmarkts und der Zivilbevölkerung gerückt. Es ist ein Thema, dass bewegt und es sind vor allem die Lebensgeschichten, die uns bewegen. Besonders Frauen mit Migrationsgeschichte gehören zu den vulnerabelsten Gruppen unserer Gesellschaft. Sprachbarrieren, fehlende oder nicht anerkannte Bildungsabschlüsse, Betreuungspflichten, kulturelle Unterschiede, Diskriminierungserfahrungen, sowie traumatische Belastungen aufgrund von Flucht erschweren das Ankommen in einem fremden Land.
Umso wichtiger ist, dass soziale Inklusion nicht als eindimensionales Konstrukt verstanden wird, sondern als ein mehrdimensionaler Fächer, der sich in der Gesellschaft wiederspiegelt und interdependent Wirkung zeigt. Eine wesentliche Komponente zur Inklusion ist die Partizipation am Erwerbsleben. Die Erfahrung der AMS Beratung hat gezeigt, dass die Teilhabe am Arbeitsmarkt schwieriger wird, je länger die Abwesenheit vom Erwerbsleben dauert.[1]
Zeitgleich zeigt ein Rückblick der letzten Jahre einen klaren Anstieg von AMS-vorgemerkten Personen, welche den Status „asylberechtigt“ (anerkannte Flüchtlinge) oder den Status „subsidiär Schutzberechtigte“  haben.

Bestand anerkannter Flüchtlinge und subsidär Schutzberechtigter, arbeitslos vorgemerkt oder in Schulung (Mai 2018) – Entwicklungen seit Jänner 2014 – Österreich

Dies wurde zum Anlass genommen über die allgemein bekannten Schwierigkeiten für Frauen am Arbeitsmarkt (Vereinbarkeit von Familie und Beruf, atypische Beschäftigungsverhältnisse, Einkommensschere, gesellschaftliche Rollenzuschreibungen, Altersarmut, usw.) hinaus, ein österreichweites Angebot für arbeitsmarktferne Frauen zu schaffen. 
Zur Zielgruppe des FrauenRaums gehören besonders benachteiligte Frauen mit dem Ziel sie zu unterstützen und zu stärken. Es werden somit alle Frauen angesprochen, welche im Besonderen Migrationserfahrung haben, asylberechtigt und subsidiär schutzberechtigt sind als auch Asylwerberinnen mit „hoher Bleibewahrscheinlichkeit“. Eine Vormerkung beim AMS ist nicht unmittelbare Voraussetzung. In der Projektentwicklung wurde besonders auf die Komponente der Niederschwelligkeit Rücksicht genommen, um die Erreichbarkeit der Zielgruppe zu erhöhen und als Pilotstandort wurde Innsbruck gewählt. Im Jahr 2019 wurde der FrauenRaum erstmals in Tirol ins Leben gerufen. Das Angebot ist kostenlos, ohne vorherige Anmeldung und findet 14-tägig statt. Während des FrauenRaums können Frauen mit Betreuungspflichten eine professionelle Kinderbetreuung in Anspruch nehmen. Hier kann auf die Infrastruktur von „Frauen im Brennpunkt“ zurückgegriffen werden, welche qualitätsvolle Kinderbetreuung in Form von Kinderkrippen und Tagesmütter/-väter als Standbein hat. In erster Linie dient der FrauenRaum dazu, Frauen auf den Bildungs- und Arbeitsmarkt vorzubereiten. Durch die Anbindung an das FrauenBerufsZentrum erhalten Teilnehmerinnen fachkundige Informationen, welche sie mit Wissen befähigen und ihre Kompetenzen stärken. Themenschwerpunkte sind Bildung und Beruf, Rechte und Pflichten am Arbeitsmarkt, Unterstützung im Umgang mit finanzieller Eigenverantwortung und Gesundheit. Das Angebot beinhaltet die Möglichkeit sich soziale Kontakte und ein Netzwerk aufzubauen und Inklusion statt Ausschlusserfahrungen zu machen.
Die Methoden, die vorwiegend im FrauenRaum zur Anwendung kommen, resultieren aus einer Haltung, die im Folgenden kurz dargestellt ist:

Prinzip der Ganzheitlichkeit
Dies umfasst das Verständnis, dass sowohl ökonomische und soziale als auch psychische und physische Aspekte die aktuelle Situation der Frauen beeinflussen und daher in den FrauenRaum einbezogen werden müssen. Es gilt den geschlechtsspezifischen Lebensbedingungen Rechnung zu tragen. 

Lösungs- und Ressourcenaktivierung
Grundlage hierfür ist ein positives Menschenbild, welches davon getragen ist Teilnehmerinnen mit Wertschätzung zu begegnen. Es geht darum die Frauen in ihrem Vertrauen zu bestärken, dass sie fähig sind Handlungsmöglichkeiten zu finden, um zu einer Lösung zu kommen.

Arbeiten im Netzwerk
Besonders in der Arbeit mit Menschen mit Migrationsgeschichte ist es unabdingbar andere Organisationen miteinzubeziehen. Mit Kooperationen entsteht ein gemeinsamer Wissenspool, woraus die Teilnehmerinnen schöpfen können und erleichtert ihnen auch den Zugang zu anderen Einrichtungen bzw. die erste Hemmschwelle im Erstkontakt abzubauen.

Die Betroffenen sind die Expertinnen
Frauen zu den aktiven Gestalterinnen ihrer Situation zu machen, ermöglicht es auf die Bedürfnisse der Teilnehmerinnen einzugehen. Die Beratungsexpertise orientiert sich nach dem Prinzip des „Fragenstellens“, anstatt Antworten bzw. Ratschläge zu geben. Es wird darauf Wert gelegt vom Input zum Impact zu gelangen, um Lernen im Prozess und in der Beziehung entstehen zu lassen.

Vielfalt schafft Resilienz
Das Projekt schafft Raum für Diversität bei den Frauen als auch bei den Themen. Dadurch werden Perspektiven erweitert und Inklusion gelebt. Mit dieser Grundhaltung können Teilnehmerinnen Resilienz entwickeln und somit bei besonders herausfordernden Lebenssituationen einen guten Umgang finden.

Diese Haltung ist ausschlaggebend, um jene Methoden für den FrauenRaum auszuwählen, die in oberster Line die Teilnehmerinnen in allen Belangen einfach stärken. Die Vielzahl der Möglichkeiten im Beratungs- und Betreuungssetting ist natürlich sehr groß und aus diesem Grund wird an dieser Stelle die Potentialtransformation im Detail vorgestellt, die für Frauen im FrauenRaum besonders wirksam ist.
Der Begriff Potentialtransformation kommt von Gunther Schmidt aus dem hypnosystemischen Bereich und eignet sich generell, wenn Personen große Schwierigkeiten haben, Lösungsmöglichkeiten für eine von ihnen als „verfahren“ erlebte Situation zu finden und wenn die Lösung eine Verhaltensänderung beinhaltet, bei der eine Übertragungsmöglichkeit eines Musters auf unterschiedliche Situationen und unterschiedliche Kontexte möglich ist. Ziel dieser Technik ist es, das Muster eines Verhaltens oder einer Fähigkeit, dass die Person offensichtlich sehr gut beherrscht, auf eine bestehende Situation zu übertragen – um diese unter Anwendung des gleichen Musters zu lösen. Die Abfolge der Potentialtransformation stellt sich wie folgt dar: Zuerst schildert die Teilnehmerin ihr Problem (Ist-Zustand). Anschließend formuliert sie mit Unterstützung der Beraterin ein Ziel (Soll-Zustand) und daraus bildet sich der Auftrag für die Beraterin ab. Nun wird mit der Lösungsfokussierung der Weg vom Ist zum Soll begonnen. Hierbei wird nach einem Verhalten gefragt, dass die Teilnehmerin sehr gut beherrscht (Hobbies oder bevorzugte Tätigkeiten im Beruf, etwa was sie gerne macht). Die Beraterin fragt konkret nach bis ein klares Bild über dieses Verhalten vorhanden ist. Im zweiten Schritt werden die Fragen so formuliert, um das „wie“ des Verhaltens herauszufinden. „Was müssen Sie besonders beachten, wenn Sie die Tätigkeit ausführen, die Sie hier beherrschen? Worauf kommt es dabei an?“ Danach wiederholt die Beraterin die Kriterien, welche die Teilnehmerin genannt hat, die zum Gelingen des Hobbies oder der Tätigkeit beitragen. Das ist die Grundlage, um am Lösungsbild zu arbeiten. Die „gekonnten“ Kriterien werden nun auf die Problemsituation übertragen. Dieser Prozess kann anhand folgender Fragen stattfinden: „Was bedeutet XXX (Kriterien) übertragen auf die von Ihnen beschriebene Situation?“, „Was wären die Folgen, wenn Sie genau diese Kriterien, die Sie eben beschrieben haben, in Ihrer derzeitigen Situation anwenden würden?“ oder „Nehmen wir an, Sie würden all die genannten Kriterien auf Ihre Problemsituation übertragen und darauf achten, dass Sie diese auch beherzigen, was wären die Folgen?“ Dadurch kann sich die Teilnehmerin das Muster aus dem bekannten Tätigkeitsbereich mitnehmen und in der Problemsituation anwenden. Dabei lernt sie gleichzeitig auch sehr generell das Muster der Potential-Transformation kennen und kann es später auch auf andere Problemfelder anwenden.[2]

Abschließend lässt sich das Projekt „FrauenRaum“ im Resümee folgendermaßen zusammenfassen: Erfolgsfaktoren für ein niederschwelliges Angebot beinhalten eine gute Vorbereitung, den Einbezug aller relevanter Personen und Organisationen (interne Mitarbeiter/innen, Zielgruppe, Netzwerk- und Kooperationspartner/innen), Teamwork, die Freiheit das Angebot im Prozess entstehen zu lassen und die Offenheit in der Umsetzung sowie geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. Herausforderungen beim Projekt haben sich gezeigt im Erreichen der Zielgruppe, beim „Konkurrenz statt Kooperationsdenken“ bei Einrichtungen, die mit der gleichen Zielgruppe arbeiten, bei der Formulierung der Erfolgskriterien des Projekts (Qualität versus Quantität), das Finden einer gemeinsamen Sprache bei unterschiedlichen Sprachniveaus.

Weitere Informationen zum Angebot sowie den aktuellen Terminen finden sich auf der Website von Frauen im Brennpunkt www.fib.at.

Zur Autorin

Sonja Karbon leitet seit 2017 das FrauenBerufsZentrum Nordtirol und seit Herbst letzten Jahres die EU Projekte bei Frauen im Brennpunkt. Ihre Arbeitsbereiche beinhalten u.a. Konzeptionierung von neuen Angeboten als auch Weiterentwicklung von bestehenden Beratungsangeboten, Projektmanagement und Implementierung, Netzwerk- und Öffentlichkeitsarbeit, Monitoring und Qualitätsmanagement. Akademischer Hintergrund: Diplomstudium der Erziehungswissenschaften an der Universität Innsbruck (2008), Masterstudium International Health and Social Management am Management Center Innsbruck und North South University, Dhaka / Bangladesh (2017), Masterstudium Organisationsentwicklung und -beratung an der Fachhochschule Schlosshofen (2019).Seit 2003 im sozialen Bildungs- und Beratungsbereich mit unterschiedlichen Zielgruppen. Schwerpunkte seit zwei Jahren: Arbeitsmarktpolitik mit Fokus Frauen plus Genderbereich – Bedarf, Wirkung und innovative Ansätze.

Der vorliegende Beitrag basiert auf dem gleichnamigen Workshop, welcher im Rahmen der Euroguidance Fachtagung am 7. November 2019 in Wien von Sonja Karbon geleitet wurde. Im Workshop wurden zu Beginn anhand der unterschiedlichen Konzeptions- und Entwicklungsphasen verschiedene Erfolgsfaktoren vorgestellt, die zum Gelingen eines solchen Projekts beitragen können. Im Rahmen des Workshops werden praktische Tools aus dem Methodenkoffer des FrauenBerufsZentrums mit Schwerpunkt auf Kompetenzorientierung vorgestellt und ausprobiert.

[1] Konzept Offener Frauen, Bundesgeschäftsstelle Arbeitsmarktservice, Wien, 2017.
[2] Sonja Radatz: Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Praxishandbuch mit den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denken, Fragetechniken und Coachingkonzepten. Literatur-vsm. Wolkersdorf. 2015

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